Geschwisterliebe? Zum Verhältnis von 'Denkmalpflege' und 'Industriekultur'
Datum: 05.04.16 / 18:00 Uhr
Ort: HTWK Leipzig, Wächterstraße 13, 04107 Leipzig, Raum W 11

Vortrag von Aiko Wulff M.A.
Geschäftsführer bei zeitläufer - Agentur für Ausstellungen Leipzig
Geschwisterliebe ist oft gleichermaßen von Zuneigung wie von Konflikten geprägt. In der Tat stehen auch Denkmalpflege und Industriekultur in einem solcherart geschwisterlichen Verhältnis: Einerseits haben sie eine gemeinsame Vergangenheit und gemeinsame Interessen. Andererseits sind ihre Traditionen, Inhalte und Ziele keineswegs deckungsgleich.
Wie eng verwandt sind Denkmalpflege und Industriekultur also wirklich? Ist die Industriekultur die kleine Schwester der Denkmalpflege oder umgekehrt? Wie fanden Denkmalpflege und Industriekultur historisch zueinander? Wo liegen gemeinsame Ansätze? Wo liegen Konfliktpotenziale? Ist ein stillgelegter Weltraumhafen in den USA ebenso ein Industriedenkmal wie eine zum Eventraum umgebaute Brikettfabrik in Sachsen? Was ist schützenswert und warum? Welchen Einfluss nehmen angrenzende Disziplinen auf die Arbeit der Industriedenkmalpflege? Wovon hängt ein gemeinsamer Weg in Zukunft ab? Diese und weitere Fragen beantwortet der Vortrag „Geschwisterliebe? Zum Verhältnis von 'Denkmalpflege' und 'Industriekultur'“.
Hintergrundinformationen:
Die Denkmalpflege in Deutschland hat eine lange Tradition, deren Anfänge ins späte 18. Jahrhundert zurückreichen. Schon bald rückten auch technikgeschichtliche Überlieferungen ins Blickfeld der Denkmalpfleger. Ein Erlass des preußischen Kultusministeriums erwähnt bereits in der Biedermeierzeit ausdrücklich die für "Geschichte, Wissenschaft und Technik" wertvollen "Überreste der Baukunst". Als Meilenstein für die moderne Industriedenkmalpflege gilt schließlich die Gründung des "Deutschen Museums von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik" im Jahr 1906. In dieser Zeit standen noch überwiegend vor- und frühindustrielle Denkmäler wie Mühlen im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Mit dem Übergang von einer Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft hinterließ die Industrie immer deutlichere Spuren, die einer Vergangenheit und nicht mehr der gesellschaftlichen Gegenwart angehörten. Industriekultur, Industriearchäologie und Industriedenkmalpflege erschlossen daher in den 1960er und 1970er Jahren neue Aufgabenfelder und erreichten auch eine zunehmend breitere Öffentlichkeit. Eine intensive Auseinandersetzung mit Industriedenkmälern begann, die ganze Industrie-Komplexe (z. B. Zechengelände) ebenso einbezog wie infrastrukturelle Aspekte (z. B. Bahnhöfe) oder soziale Strukturen (z. B. Arbeitersiedlungen). In diese Zeit fällt auch die Gründung der ersten Industriemuseen.
Im Umgang mit Industriedenkmälern stellten sich gegenüber den Kulturdenkmälern oftmals neue Herausforderungen, etwa hinsichtlich der Frage, wie mit ökologischen Hinterlassenschaften der Industrie umzugehen sei. Aber auch herkömmliche Kriterien, die dazu dienten, die Denkmalwürdigkeit zu bewerten, bedurften der Überarbeitung. Ästhetische Kategorien etwa schienen nicht immer ausreichend zu sein, sondern verstellten eher den Blick auf die historische Bedeutung von Industriearchitektur. Einiges regeln seit den 1970er Jahren sukzessive erlassene Gesetze. Industriedenkmalpflege ist aber auch Teil einer bis heute andauernden gesellschaftlichen Debatte, die nicht selten im Imperativ einer konsequenten Nachnutzung von Industriedenkmälern ihren Ausgang findet.
Heute ist „Industriekultur“ nichtsdestoweniger ein fester Bestandteil der Denkmalpflege und Denkmalpflege eine Möglichkeitsbedingung dafür, dass „Industriekultur“ an künftige Generationen überliefert werden kann.
Der Referent:
bis 2004 Studium der Germanistik, Geschichtswissenschaften und Kommunikations- und Medienwissenschaften in Leipzig und Pisa, Abschluss: Magister Artium
2005 Kunstraum GfK Hamburg
2006-2007 Museumsdienst Hamburg e. V.
2007-2008 Praxis für Ausstellungen und Theorie Berlin
2008-2010 LWL-Industriemuseum Dortmund
2010-2011 Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Leipzig
Publikationen (Auszug):
Die Professionalisierung ehrenamtlicher Arbeit in privaten Museen und Archiven. In: Archiv und Wirtschaft. Zeitschrift für das Archivwesen der Wirtschaft, 47. Jg. 2014, H. 1, S. 30-34.
Todesmut und Durchschlagskraft. Der industrialisierte Krieg und seine Helden. In: LWL-Industriemuseum (Hg.) 2010: Helden. Von der Sehnsucht nach dem Besonderen, Essen, S. 164-179.
Vorträge (Auszug):
„Denkmalpflege und Industriekultur“, Tagung „Von der Geschichte in die Vitrine. Aspekte der Ausstellungspräsentation“ im LWL-Museum für Naturkunde Münster (25.11.2009)
„Kriegshelden“, Helden-Werk, LWL-Industriemuseum Henrichshütte Hattingen (30.7.2010)
„Ausstellungen als Teil der Öffentlichkeitsarbeit in Unternehmensarchiven“, Tagung des Regionalen Erfahrungsaustausches der Wirtschaftsarchivare und -archivarinnen Sachsen/Thüringen (29.8.2012).
Bilder:
Brikettfabrik Witznitz bei Borna zwischen Nachnutzung und Verfall, 2013.
Ausstellung am historischen Industriestandort: Brikettfabrik Witznitz bei Borna, 2013.
Quelle (2): Marc Pelzl / zeitläufer GbR